Aufruf zum Retreat

Die Bedeutung des Retreats in der Drikung Kagyü Tradition

Im Allgemeinen wird in der Kagyü-Tradition des tibetischen Buddhismus im Vergleich zu anderen Linien, eine stärkere Betonung auf die Meditationspraxis gelegt. Daher wird sie als eine Praxislinie verstanden und so genannt. Im Besonderen konzentriert sich die Drikung Kagyü Linie stark auf die Praxis. Am Hauptsitz der Drikung Kagyü in Drikung Densa Thil in Tibet, gibt es seit seiner Gründung im Jahr 1179 bis heute ein Retreat-Zentrum, das in einen westlichen und einen östlichen Teil aufgeteilt ist.

Viele Mahasiddhas (große verwirklichte Meister) sind aus diesem Retreat-Zentrum hervorgegangen, darunter Nongar Chösum, Guya Gangpa, Yakru Paldrak, Dorzin Gowoche, Rinchen Drakpa, Dudul Phurpa und viele mehr. Seit über 800 Jahren bestätigt diese Tradition die Kontinuität der Praxis-Linie. In jüngster Zeit gab es in Drikung Thil im 20. Jahrhundert die bekannten Mahasiddhas Agon Rinpoche und Pachung Rinpoche.

Als der Dharmaherr Kyobpa Jigten Sumgön, der Gründer der Drikung Kagyü Linie, das Alter von 70 Jahren erreichte, kam der Schützer der drei heiligen Stätten des Chakrasamvara an den Bergen Lapchi, Tsari und Kailash zu Jigten Sumgön und forderte ihn auf, Yogis an diese drei heiligen Stätten zu entsenden. Die drei heiligen berge sind die Wohnstätten des erleuchteten Körpers, der erleuchteten Rede und des erleuchteten Geistes von Chakrasamvara. Deshalb schickte Kyobpa Jigten Sumgön zu drei verschiedenen Zeitpunkten Hunderte und Tausende von Praktizierenden nach Lapchi, Tsari und an den Kailash. Schließlich hatte Kyobpa Jigten Sumgön an jeden dieser heiligen Orte mehr als 50.000 Yogis entsandt.

Seit 1979 wurden in der Drikung Kagyü Tradition starke Anstrengungen unternommen, um diese Praxistradition wieder herzustellen und fortzuführen. Viele Retreat-Zentren in verschiedenen Drikung Kagyü Klöstern in Tibet, Nepal und Ladakh wurden renoviert oder neu gebaut, sowie in Indien am Kloster Jangchubling in Dehradun und in Almora. Um diese wertvolle Tradition des meditativen Versenkung in Abgeschiedenheit in unserer Praxislinie auch außerhalb von Tibet am Leben zu halten, haben wir begonnen, in der westlichen Welt große Retreat-Zentren zu errichten, die in Entsprechung zu den heiligen Bergen Kailash, Lapchi und Tsari stehen.

Im Allgemeinen unterliegt der Dharma dem Gesetz des abhängigen Entstehens, und im Speziellen sagte Kyobpa Jigten Sumgön: "Die Drikungpa haben die Macht über das Gesetz des abhängigen Entstehens." Deshalb haben wir die Namen der drei heiligen Rückzugsorte Kailash, Lapchi und Tsari mit drei Haupt-Retreat-Zentren im Westen in Verbindung gesetzt, so dass die Praktizierenden die Kraft des Segens erhalten und Erfolg erlangen ohne Hindernisse.

Ich hoffe und bete, dass diese Praxistradition in den verschiedenen Retreat-Zentren gut Wurzeln schlagen wird und die Früchte der Erleuchtung tragen und für viele Lebewesen von Nutzen sein möge.

Mit meinem Segen,
Drikung Kyabgön Thinley Lhundup, March 2012

 

 

Die Bedeutung des Drei-Jahres-Retreats

Es ist ein außerordentlich wertvoller und günstiger Umstand, in einem menschlichen Körper wiedergeboren zu sein; denn in ihm ist es möglich, die Befreiung zu erlangen. Diesen dürfen wir aber nicht lange behalten; wir können in jedem Moment sterben; die Lebenspanne ist ungewiß. Nach dem Tod wird das Bewusstsein nicht in die Nicht-Existenz fallen, sondern weiterleben und aufgrund des Karmas von einem Körper mit oder ohne Form abhängig sein. Da innerhalb des samsarischen Kreislaufs unerwünschte Bedingungen lange währen, begegnet den Wesen ausschließlich Leid. Wenn man die Methoden zur Befreiung anstrebt, reicht der Wunsch, nicht mehr leiden zu wollen, nicht aus; nur die Anwendung des wahrhaften Dharma in authentischer Weise kann beständiges unwandelbares Glück schenken. Übe Dich daher in der Retreat-Praxis, ohne die wertvolle Gelegenheit durch weltliche Angelegenheiten, die mit großem doch belanglosen Gerede einhergehen, zu vergeuden. Dies durchzuführen ist von außerordentlicher Bedeutung.

Nun, was wird praktiziert?

Man praktiziert die Herzessenz aller Sutras, Tantras und Kommentare, die mündlichen Unterweisungen, die auf Erfahrung und Realisation basieren und in einer ungebrochenen Kontinuität von Buddha Vajradhara bis in die heutige Zeit weitergegeben wurden, die Herzessenz der Lehren der ehemaligen Kagyü-Meister, insbesondere des glorreichen Phagmodrupa und Dharmaherrn Jigten Sumgön und ihrer geistigen Erben.

Wenn sich für die vom Glück begünstigten Schüler die Möglichkeit ergibt, den kurzen Pfad, Buddhaschaft in einem Leben zu erlangen, den fünfteiligen Pfad der Mahamudra zusammen mit dem tiefgründigen Pfad der sechs Dharmas von Naropa, die sämtliche Kernpunkte des tantrischen Pfades beinhalten, üben zu können, so sind dies ausgesprochen glückliche Umstände.

Da es keinen Nutzen bringt, diesen Pfad nur hin und wieder und lediglich für ein paar Sitzungen während kurzer Zeit auszuüben, gibt es in Tibet die Tradition, welche „drei Jahre und drei Monate“ genannt wird. Da nun auch in anderen östlichen und westlichen Ländern die Möglichkeit zur Durchführung eines langen Retreats entsteht, ist es ein ausgesprochen Glück verheißendes Zeichen, wenn man in diese Übung eintreten und an einem Retreat teilnehmen kann.

S.E. Garchen RinpocheGar Konchog Gyaltsen, im September 2011

Das Drei-Jahres-Retreat in der Drikung Kagyü Tradition

Seit anfangsloser Zeit bis in die endlose Zukunft ist die Realität von Samsara die, dass sie offensichtliches Leiden beinhaltet oder, dass sie die Bedingungen für entstehendes Leid in sich trägt. Alle fühlenden Wesen innerhalb dieses Zyklus haben den angeborenen Wunsch nach Frieden und Glück sowie den Wunsch, frei zu sein von Leid. Alle Buddhas der drei Zeiten erkannten dies, verzichteten auf alle Ursachen, die zu Leid führen, kultivierten Bodhicitta, vollendeten es durch die Meditation und erlangten Erleuchtung. Alle von Buddha übermittelten Dharma-Lehren haben dies zum Thema. Im Laufe der Jahrhunderte studierte eine zahlreiche Anhängerschaft den Weg, den er lehrte. Viele von ihnen sind jetzt von Samsara befreit und haben Erleuchtung erlangt. Milarepa ist ein lebhaftes Beispiel für jemanden, der erfolgreich Erleuchtung in einem einzigen Leben erreicht hat. Zum Wohle späterer Generationen des kostbaren Dharma, offenbarte er heilige Plätze wie Mt. Kailash und Lapchi Snow Mountain. Einer der Schüler von Gampopa eröffnete den Berg Tasri als einen Retreat-Platz. Jeder Dharma-Praktizierende, der die Fehler von Samsara und die Vorzüge von Nirwana versteht, gibt sich selbstverständlich sein ganzes Leben dem Retreat an einem solchen Platz hin. Dort können diese meditative Versenkung erreichen, das Weisheitslicht entzünden und die Ursachen des Leids entwurzeln. Wenn Verwirrung in Weisheit aufgeht, wird Leiden nicht mehr existieren.

Um andere zu ermutigen, diesen großartigen Weg zu gehen, schickte Lord Jigten Sumgön seine Schüler ins Retreat nach Mt. Kailash, Lapchi und Tsari sowie an andere heilige Plätze. Ihnen war klar, dass Erleuchtung nicht von außen kommt, sondern, im Gegenteil, der Geist im Innern erwachen muss. Viele große Retreat-Praktizierende haben ihr Leben an diesen heiligen Orten verbracht und überlieferten die Linie. Seine Heiligkeit Drikung Kyabgön Thinley Lhundup hat den Platz in Schneverdingen als den ausgesucht, der Mt. Kailash im Westen repräsentiert. Daher ermutige ich jeden, sich an diesem Projekt zu beteiligen und es zu unterstützen, indem er dort nicht nur drei, sondern viele Jahre im Retreat verbringt.

Jeder Einzelne, der die erleuchteten Qualitäten erfährt, wird für sich selbst und die Gesellschaft eine Quelle der Weisheit, des Friedens und der Harmonie sein.

Khenchen Konchog Gyaltsen, im Oktober 2011