Die Kagyü Tradition des Tibetischen Buddhismus geht auf den indischen Mahāsiddha Tilopa (988-1069) zurück, der die Lehre des Buddha auf geistigem Weg direkt vom „Urbuddha“ Vajradhara erhalten hatte. Sein Schüler Nāropa (1016-1100) gab die Lehren weiter an Marpa Chökyi Lodrö (1012-1097), der sie nach Tibet brachte. Dessen bedeutendster Schüler war Milarepa (1040-1123), dessen Ruhm als verwirklichter Yogi sich überall in Tibet verbreitete. Von Milarepas Schüler Gampopa (1079-1153) gingen die ersten Kagyü Schulen aus. Einer der Hauptschüler Gampopas war Phagmodrupa Dorje Gyalpo (1110-1170), der Gründer der Phagdru Kagyü. Phagmodrupas Hauptschüler begründeten eigene Linien. Sein Herzenssohn Kyobpa Jigten Sumgön („Schützer der drei Welten“, 1143-1217) übernahm nach dem Tod seines Lehrmeisters drei Jahre lang den Thron der Phagdru in Densa Thil (1177-1179). Danach gründete er seine eigene Linie und sein Kloster im Gebiet von Drikung, wie von Phagmodrupa prophezeit worden war, und wurde so der Begründer der Drikung Kagyü Tradition. Im Jahr 1179 errichtete er das Kloster Drikung Thil, das Stammkloster der Linie.
Als einmal der Karmapa Düsum Khyenpa (1110-1193), der Begründer der Karma Kagyü Linie, nach Drikung Thil kam, erkannte er das gesamte Gebiet von Drikung als das Mandala von Chakrasamvara und sah Jigten Sumgön als Buddha und seine beiden Hauptschüler als die beiden Schüler des Buddha Shāriputra und Maudgalyāyana.
Jigten Sumgön erlangte großen Ruhm. Aus allen Teilen des Landes kamen die Menschen, um von ihm Einweihungen und Belehrungen zu erhalten. Großen Wert legte er auf die meditative Praxis. Als er 70 Jahre alt war, sandte er in drei Phasen eine große Anzahl von Praktizierenden zu drei besonders heiligen Bergen: Kailash, Lapchi und Tsari.
Im Lauf der Zeit verbreitete sich der Orden, und es entstanden Drikung-Klöster auch weitab vom Stammkloster, viele um den Berg Kailash bis nach Ladakh, zahlreiche im Kongpo und vor allem in Osttibet, in Kham, dem Herkunftsland von Jigten Sumgön. Wie in vielen Schulen des Tibetischen Buddhismus üblich, wählte Jigten Sumgön einen Nachfolger unter seinen Verwandten aus. So kamen zunächst alle Throninhaber der Drikung Kagyü bis auf drei aus seinem Kyura-Clan, wobei es unter den Familienmitgliedern keine festgelegten Regeln für die Nachfolge gab.
Die beiden jüngsten Söhne von Chögyal Rinchen Phuntsog (1547-1602), des 21. Thronhalters der Linie, wurden die letzten Erben des Throns von Drikung. Mit ihnen starb der Kyura-Clan aus: Gyalwang Konchog Rinchen (1590-1654) und Kunkhyen Rigzin Chödrak (1595-1659). Beim Ableben von Konchog Rinchen ging man auf die in anderen Schulen des tibetischen Buddhismus zum Teil schon bestehende Tradition über, nach den Wiedergeburten ihrer Thronhalter im ganzen Land zu suchen. Es wurde ein System von zwei Linienhaltern begründet, des älteren (Chetsang) und des jüngeren Bruders (Chungtsang).
In der Chronologie gilt Konchog Rinchen als 1. Chetsang und Rigzin Chödrak als 1. Chungtsang. Bis in die Gegenwart gab es 37 aufeinanderfolgende Linienhalter. Die gegenwärtigen Linienhalter sind Tenzin Chökyi Nangwa, der 8. Drikung Kyabgön Chungtsang, und Tenzin Thrinle Lhundrüp, der 7. Drikung Kyabgön Chetsang. Während Drikung Kyabgön Chetsang vom indischen Exil in Dehradun aus die Drikung Kagyü Tradition im Westen zu neuer Blüte geführt hat, führt Drikung Kyabgön Chungtsang die Linie von Lhasa aus in Tibet weiter.
Ausführliche Informationen über die Entwicklung der Linie und über den Liniengründer Jigten Sumgön auf Englisch finden sich auf der Offiziellen Website der Drikung Kagyü Linie, sowie auf Deutsch auf der deutschen Website der Drikung Kagyü Linie.